· 

#07 Reflexion – Im Ernst jetzt?

Jede und jeder, der eine Lehrerausbildung gemacht hat, kennt das: «Reflektieren Sie.» Es folgt ein grosses Stöhnen. «Schon wieder?»

Ich kenne das Gefühl des Widerstands gegen Reflexion sehr gut von mir selber. Was habe ich geflucht, meine Dozenten zum Teufel geschickt, sie des Unwissens, der Realitätsferne oder der Arroganz bezichtigt. Warum sollten «die» besser wissen, was gut für mich ist als ich? Lasst mich doch in Ruhe mit eurer Reflektiererei! Ich bin gut so wie ich bin und basta.

 

Ja, Reflektieren ist anstrengend. Es ist ungemütlich. Es ist mühselig. Besonders, wenn man es seriös macht. Ich muss mich mit meinem bisherigen Weltbild auseinandersetzen, Lernprozesse aufdecken und die Neukonstruktion meiner Welt nachvollziehen (vgl. Blogbeitrag #06).

Trotzdem wage ich an dieser Stelle ein Plädoyer für das Reflektieren. Ich nehme dazu wieder das Beispiel aus meinem letzten Blogbeitrag #06:

Vorerfahrung Studierender:

«5 Wochen Ferien»

Neue Erfahrung im Lernraum:  «Gemäss Art. 329a OR hat jeder Arbeitnehmer, jede Arbeitnehmerin Anspruch auf 4 Wochen Ferien.»
Reaktion:

Misstrauen gegenüber dem Arbeitgeber. Warum habe ich 5 Wochen Ferien?

Negative Gefühle, obwohl die vertragliche Lösung besser ist als die gesetzliche. 

Fragen:

Woher kommen dieses Misstrauen bzw. das fehlende Vertrauen in den Arbeitgeber? Fühle ich wohl, wo ich arbeite?

Durch die Reflexion dieses Lernprozesses kann der Studierende Fragen aufdecken und im besten Fall klären, die eine direkte positive Wirkung auf sein Leben haben. Vielleicht stellt er fest, dass er in einem früheren Arbeitsverhältnis enttäuscht worden war und er diese Enttäuschung nun auf sein aktuelles Arbeitsverhältnis projiziert, obwohl es dafür gar keinen objektiven Grund gibt. Im Idealfall trägt dieser Lernprozess dazu bei, dass er nun viel lieber zur Arbeit geht. Aber eben: Dies geschieht nur, wenn der Studierende über seinen eigenen Lernprozess reflektiert.

 

Hier kommt die Aufgabe der Lernprozessbegleiterin ins Spiel: Ich sehe meine Aufgabe darin, dass ich Möglichkeiten schaffe, dass die Studierende über ihre Lernprozesse nachdenken können. Ich stelle Zeit zur Verfügung und leite sie mit Fragen dazu an. Widerstand muss ich aushalten. Es kann gut sein, dass ich dafür von meinen Studierenden nicht geliebt werde. Ich kenne das ja von mir selbst! Reflektieren ist eben anstrengend und ungemütlich, aber unglaublich heilsam.

 

In diesem Sinne wünsche ich dir fruchtbare Reflexionserfahrungen!

Heb dier Sorg, Miriam

Kommentar schreiben

Kommentare: 0