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Schule. Eine Liebeserklärung.

Ich liebe die Schule. Mein ganzes Leben verbringe ich schon in Schulhäusern und Schulzimmern. Meine Mutter war über 40 Jahre lang eine leidenschaftliche Lehrerin. Sie lehrte das Leben.

Gerne erinnere ich mich daran, wie meine Mutter inmitten ihrer Schülerinnen und Schüler sass. Das Lehrerpult nutzte sie nie. Während sie ihnen textiles Werken beibrachte, wurde über Gott und die Welt geredet. Die Stimmung im Schulzimmer war in der Regel fröhlich und aufgeschlossen. Meine Mutter war streng. Als Mutter und als Lehrerin. Sie wusste sich durchzusetzen und hat bis heute eine natürliche Autorität. Ich verbrachte häufig und gerne meine Zeit in ihren Schulzimmern, während sie vorbereitete oder aufräumte.

Meine Eltern haben mir beigebracht zu leben. Von meinem Vater habe ich das Velo fahren und das Kochen gelernt. Von meiner Mutter habe ich gelernt, wie man seine Steuererklärung richtig ausfüllt, seine Finanzen im Griff hat und vorsorgt. Ich könnte die Liste noch weit fortsetzen. Meine Familie hat mich sehr gut auf das Leben vorbereitet. 

In meiner Lernbiografie kommen natürlich auch viele Lehrpersonen vor. Ich erinnere mich am Besten an die Lehrpersonen, die weit über ihr Fachgebiet hinaus Bescheid wussten. Lehrpersonen, die uns wachsen liessen, die im richtigen Moment das Passende sagten, die mir Mut machten meinen eigenen Weg zu gehen. Es waren lebenserfahrene Lehrpersonen.

 

Auf einen LinkedIn-Post zur Frage, wie denn eine erfolgreich geführte Schule aussehen müsste, antwortete ich: "Für mich müsste Schule eben kein erfolgreich geführter Ort sein, sondern ein Begegnungsraum, ein Forschungsraum, ein Möglichkeitenraum, ein geschützter Raum für Ideen und freies Denken, ein einladender Raum, ein generationenübergreifender Raum, in dem gelebt und gelernt wird." Der Autor fragte zurück: "Ja, aber wie kommen wir dahin?" Das ist eine sehr gute Frage. Ich weiss es nicht. Aber ich habe ein paar Vorschläge.

 

1. Wertschätzung

 Vielleicht fangen wir alle damit an, die Lehrpersonen wertzuschätzen.

 

Wie überall in der Berufswelt gibt es im Lehrerberuf talentiertere und weniger talentierte Berufsleute. Für mich ist die Schule ein Abbild der Gesellschaft. Die Erwartungen an die Volksschule sind sehr hoch. Die Lehrpersonen sind sehr gefordert. Ich stelle mir die Frage, ob diese Erwartungen nicht schlicht und einfach überzogen sind. Lehrpersonen sollen unsere Kinder zu besseren Menschen erziehen, sollen dafür sorgen, dass möglichst vielen Kindern ein guter Anschlussweg offensteht, sie müssen Gewalt und Mobbing voraussehen und verhindern, sie müssen Demokratie und Kooperation vorleben, sie sollen lebensnahe Themen bearbeiten, sie müssen Inklusion zulassen und dafür sorgen, dass sich alle möglichst gut verstehen. Jedes Kind muss individuell gefördert werden, keines darf zu kurz kommen oder gar ausgeschlossen werden, es muss geforscht, gemacht, geübt und reflektiert werden.

 

Warst du schon mal in einem Werkunterricht dabei, wenn 22 Drittklässler mit Japanmessern hantieren? Hast du schon mal beobachtet, wie sich Kinder verhalten, wenn sie sich für den Turnunterricht umziehen sollen? Unsere Kinder sind keine Heiligen! Sie löschen das Licht in der Garderobe, lachen einander aus, sie sind fies, sie ärgern einander und ja, sie grenzen aus und beleidigen. Auch freundliche und anständige Kinder können die Nerven verlieren, können rumschreien oder sich zurückziehen. Es ist wie im "wahren" Leben. Oder sind wir immer anständig und folgsam? Haben wir immer unsere Gefühle im Griff? Sind wir immer arbeitsfähig und konzentriert? Kinder ahmen nach. Sie tragen in die Schule, was sie "da draussen" erleben. Die Schule soll es dann richten. Jede Lehrperson muss rund 24 Kinder in den unterschiedlichsten Situationen im Auge behalten und das Lernen ermöglichen. Sie muss mit all dem umgehen, was das Menschsein ausmacht. Und das ist eben nicht nur anständiges Kooperieren.

Ich habe den grössten Respekt vor den Lehrpersonen der Volksschule. Sie sind Dompteure des Wahnsinns! Ich habe Freundinnen, die halten meine zwei Rabauken kaum zwei Stunden aus. Lehrpersonen halten das 12-fache jeden einzelnen Schultag aus! Ich kann nur danke, danke und danke sagen! Wir sollten wirklich anfangen die tägliche Arbeit der Lehrpersonen aller Stufen wertzuschätzen. Wirklich. Jetzt. Sofort. Alles andere würde bedeuten, dass wir das Leben in all seinen Facetten nicht schätzen.

 

2. Geld

Gute Bildung kostet. Schau dir mal die Gebühren einer Privatschule an. Ich will keine Zweiklassen-Gesellschaft, in der die Kinder aus ärmeren Familien in die staatliche Volksschule gehen und Kinder aus reicheren Familien eine Privatschule besuchen. Ich bin davon überzeugt, dass die Qualität unserer Volksschule hoch ist. Trotzdem: Den Schulen fehlt Geld. 

Wir können noch lange nach Digitalisierung schreien, wenn kein Geld dafür da ist, nützt die Forderung nichts. Diesen Sommer hatte ich mit der Schulklasse meines Sohnes ein Abschiedsvideo gedreht. Wir wollten es der Lehrerin im Schulzimmer vorführen. Ich konnte das Video auf dem Lehrer-PC nicht abspielen. Ich war ehrlich geschockt. Der PC vermochte die 2,2 GB nicht zu verarbeiten. Wir zeigten unseren Film auf meinem Laptop: USB-Stick rein, Film lief. 

Klar, funktionierende PC's und ein starkes Wlan machen noch keine erfolgreiche Schule. Aber beides würde die administrative Arbeit von Lehrpersonen massiv vereinfachen. Oder arbeitest du in deinem Beruf mit einem PC, der keine 2,2 GB verarbeiten kann? Mit einer Wlan-Verbindung, die mal funktioniert und mal nicht? Hast du dir schon mal überlegt, wie viel administrative Arbeiten eine Primarlehrperson zu erledigen hat? Wie viel Zeit sie verplempert, weil sie keine stabile digitale Infrastruktur zur Verfügung hat? Seien wir ehrlich: So würden viele Arbeitnehmende in Büros ihren Job an den Nagel hängen. 

Mein zweiter Vorschlag: Mehr Geld für die Schulen.

 

3. Unterstützung

Der Regelweg zur Lehrperson führt über eine Maturität und eine Pädagogische Hochschule. Eine junge Lehrperson kann nach einem rein schulischen Weg mit 22 bis 23 Lebensjahren die Hochschule verlassen und eine eigene Klasse führen. Wie lebenserfahren ist man in diesem Alter nach diesem Ausbildungsweg? 

Das ist kein Vorwurf an junge Lehrpersonen, sondern eine ernst gemeinte Frage. 

Vor Kurzem hat ein junger Berufsmaturand darüber nachgedacht, ob er Primarlehrer werden soll. Ich hoffe sehr, dass er sich für diesen Beruf entscheidet. Er hat eine handwerkliche Lehre mit Berufsmatura abgeschlossen. Seine Berufserfahrung und sein praktisches und technisches KnowHow wären eine Bereicherung für jede Schule. 

Ich hatte während meiner Primarschulzeit nur männliche Lehrer mit einem grossen Erfahrungsschatz. Sie führten uns streng, jeder auf seine Weise. Einer war Musiker, einer hat viel Wert auf Schönschreiben gelegt (ich bin ihm immer noch dankbar dafür!), einer war ein Handwerker durch und durch. Ich habe viel Zeit in der Natur verbracht, wir haben auf dem Pausenplatz gewerkelt, Velos geputzt und geflickt, wir hatten regelmässige Wanderausflüge, waren im Velo-Klassenlager, haben ganze Musicals aufgeführt. Wir hatten Bauernhöfe und Kindertheater besucht. Unsere Schulzimmereinrichtung wurde immer wieder umgestellt. Wir hatten damals schon einen Sitzkreis, wo wir den Tag starteten und zusammen Lieder sangen. 

Meine Primarschulzeit war nicht nur rosig, aber ich habe viel gelernt. Die staatliche Schule sorgt für Chancengleichheit. Aber sie ist auf Unterstützung angewiesen. Sie sollte nicht dauernd kritisiert werden und Eltern sollten nicht mit dem Anwalt drohen, wenn ihr Kind nicht die vorgestellte Leistung erbringt.

Wir müssen als Eltern und Mitglieder dieser Gesellschaft unsere Schulen unterstützen. 

 

Junge Lehrpersonen brauchen Mentoren. Erfahrene Lehrpersonen, die sie an der Hand nehmen und ihnen die Rezepte weitergeben, wie sie seit Jahrzehnten im Tummelfeld "Schule" überleben und dabei auch noch einen guten Job machen. 

Ich habe immer wieder erlebt, wie lebenserfahrene Lehrpersonen von verschiedenen Seiten - leider auch von Schulleitungen - missverstanden oder sogar aus dem Lehrberuf gedrängt worden sind. Um einen meiner Primarlehrer rankten sich die schlimmsten Gerüchte, weil er streng, gerecht und manchmal auch unkonventionell gewesen war. Nach meiner Schulzeit hatte er sich als homosexuell geoutet. Die Schulpflege war froh, denn nun hatte sie endlich einen Grund ihn loszuwerden. Natürlich ging man subtil vor, aber es führte dazu, dass er seinen Beruf - in dem er wirklich grandios war - an den Nagel hängte. Ich habe die ganze Tragik dieser Geschichte erst später verstanden. Erfahrene Lehrpersonen, von denen Kinder für ihr Leben lernen können, rennen nicht jedem pädagogischen Hype hinterher, sondern stellen tagtäglich ihre Schülerinnen und Schüler ins Zentrum ihres Tuns. Sie fordern die Einhaltung von Regeln, sind fair und wollen nur das Beste für ihre Schützlinge. Sie knicken nicht ein, sondern haben und leben Werte. Diese Lehrpersonen gibt es, aber sie haben es bis heute nicht immer einfach. Wenn wir solche Lehrpersonen wollen, müssen wir sie unterstützen und uns wenn nötig auch für sie einsetzen.

 

4. Weiterbildung

Lehrpersonen bilden sich stetig weiter. Ich erlebe aber selbst, wie viele Weiterbildungsformate mich nicht wirklich weiterbringen. Im Schulzimmer kommen mir meine zahlreichen Job-Erfahrungen immer wieder zugute: Ich war Redakteurin einer Regionalzeitung, Pflegemitarbeiterin im Alters- und Pflegeheim, Verkäuferin, Rezeptionistin, Sachbearbeiterin, Modeberaterin, Vocal Coach und selbständige Zeremonienleiterin.

Wenn ich das Leben lehren will, wenn ich Schülerinnen und Schüler auf das Leben vorbereiten will, dann muss ich das Leben in all seinen Facetten erleben. Ich schlage deshalb vor, dass Lehrpersonen alle paar Jahre für ungefähr sechs Monate eine Art Weiterbildungspraktikum in einem Unternehmen anstatt schulinterne Fortbildungen absolvieren. Auf diese Weise könnten sich die Arbeitswelt, in die sich die Schülerinnen und Schüler nach der Schulzeit bewegen, und die "Schule" begegnen und einander besser kennenlernen. Ich bin davon überzeugt, dass beide Seiten enorm profitieren könnten. 

 

Mein Fazit

Die staatliche Volksschule ist im Wandel. Genau wie unsere Gesellschaft. Lehrpersonen leisten jeden Tag Unvorstellbares. Dafür sollten sie wertgeschätzt und unterstützt werden. Von uns allen. 

Die Aufgabe, die Schule zu verändern, liegt nicht nur an den Lehrpersonen. Sie hängt von politischen Entscheidungen ab, von den Finanzen, von der Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen und dem Engagement der Zivilgesellschaft für die Schule. 

Ich danke allen, die sich für die staatliche Volksschule einsetzen. Nur eine starke Schule mit starken Lehrpersonen fördert starke junge Menschen. Dafür sind wir alle mitverantwortlich. Hören wir auf zu kritisieren und fangen heute an mit dem ersten Schritt: Mehr Wertschätzung.

 

Schule, ich liebe dich und ich glaube an dich.

 

 

PS: Ich selbst habe das Privileg mit lernwilligen und lernfähigen angehenden Berufsmaturandinnen und Berufsmaturanden den Lernraum Wirtschaft und Recht gestalten zu dürfen. Ich fordere viel und gebe viel. Mein Beruf ist meine Berufung.

 

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