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#13 Innovation und Disruption

Mein 2018 war geprägt von Lernen. Ich bin nun 36 Jahre alt und ich habe das Gefühl, jedes Jahr mehr zu lernen als das Jahr zuvor. Mein persönlicher Innovationstreiber ist mein 5jähriger Sohn. Gut drei Jahre lang hatte ich ihm die Welt erklärt, danach war Schluss. Seither stellt er Fragen, die ich nicht beantworten kann. Was ist das Internet? Wie funktioniert WLan? (Auf die grossen Lebensfragen wie «Wo kommen wir her?» oder «Wo gehen wir hin, wenn wir sterben?» findet er jeweils seine eigenen, sehr fantasievollen Antworten. Aber das ist ein anderes Thema). Mir bleibt also nichts anderes übrig, als mit ihm auf die Reise zu gehen und mit ihm gemeinsam zu lernen.  

Angefangen hatten wir bei der Dampfmaschine. Unterdessen sind wir bei Geografie und Astronomie. Bauen und Schiffe sind seine grossen Leidenschaften. Beim Legobauen kann ich noch einigermassen mithalten. Beim Bauen im Kreativmodus von Minecraft habe ich längst aufgegeben. Ich kann es nicht. Ich hab’s wirklich versucht, aber ich bin hoffnungslos überfordert (wie du in Blog #12 lesen konntest, bin ich kein Gamerin). Wie sich Livio in dieser virtuellen Welt zurechtfindet, sich orientiert und bewegt, ist erstaunlich. Er baut grosse Schiffe – am liebsten die Titanic – richtet sie ein und lässt sie sogar im Wasser versinken. Er baut Länderflaggen und Baumhäuser. Das Nutzen virtueller Umgebungen ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Eine neue App bedienen zu können (z.B. Stack the States, siehe Blog #12) gelingt ihm problemlos, obwohl er noch nicht lesen kann.  

«Das Kombinieren neuer Basistechnologien zu einem neuen Endprodukt ist der entscheidende Faktor, warum die Geschwindigkeit der Innovationen so gnadenlos zunimmt», schreibt Frank Thelen in seiner Autobiografie «StartUp-DNA – Hinfallen, aufstehen, die Welt verändern» (S. 198). Frank Thelen erwähnt in seinem Buch sanfte Evolutionen, die über ein paar Jahrzehnte hinweg unser Konsumverhalten verändern (Netflix, Youtube). Es geht ihm aber vielmehr um die grossen Umwälzungen, die schneller und tiefgreifender sind als alles bisher Dagewesene. Diese Disruption wird unseren Alltag massiv verändern: Technologische Lösungen (auch in der Medizin) werden günstiger und dadurch für alle zugänglich. Das «Internet of Things» wird uns höheren Komfort bieten. Aber am besten gefallen mir folgende von Frank Thelen beschriebenen Innovationen:  

  • Ich bin bekanntermassen eher Fremdsprachen-unbegabt. Deshalb freue ich mich sehr auf die App, die das Gesprochene meines Gegenübers simultan übersetzen kann. 
  • Dann reise ich gerne, aber mag es überhaupt nicht im Stau zu stehen oder in überfüllten Zügen zu sitzen (aufs Fliegen sollten wir wegen des hohen CO2-Ausstosses sowieso verzichten). Virtual Reality wird mein Bedürfnis die Welt zu sehen, sicher teilweise befriedigen, indem ich Städte virtuell besuchen kann. Fantastisch! 

Thelen beschreibt weiter, wie Elektrojets wie die von Lilium Aviation den Traum vom fliegenden Auto wahrmachen (S. 201) und gibt zu: «Disruption ist kein vorübergehendes Phänomen: Rund 90 % des weltweiten Datenbestandes sind in den letzten beiden Jahren entstanden. Jedes Jahr verdoppelt sich diese Datenmenge. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Informationsverarbeitung, denn durch künstliche Intelligenz und immer mehr Daten wird auch die Software immer schlauer: Sie nutzt die explodierenden Kapazitäten viel effizienter und produziert dabei mehrfachen Ertrag: Noch mehr Wissen wird noch effektiver genutzt.» (S. 202) 

Damit einher geht eine riesige gesellschaftliche Disruption. Wir müssen bereit sein, den Wandel mitzugestalten. Aber wie ist man «bereit»? Wie kann man sich vorbereiten? Für mich ist die Antwort eindeutig: Es geht um die Anerkennung der jüngeren Generationen als unsere Lehrer.  

Ein Grund dafür ist, dass sie es einfach besser können. Ich habe oben beschrieben, wie mein Sohn in seinem zarten Alter bereits mit digitalen Medien operieren kann, die mich heillos überfordern. Er kann es einfach. Er hat keine Ängste, was ihn antreibt, ist Neugier. Es gibt keine Trennung von Lernen und Spielen. Lernen ist Spielen und Spielen ist Lernen. Es macht Freude und Stolz etwas zu können. Das sollten wir älteren Generationen uns unbedingt zu Herzen nehmen. Wir sollten zu unserer frühkindlichen Neugier zurückfinden und Dinge nicht mehr nur tun, weil wir damit Geld verdienen, das wir wieder für eine Menge sinnloser Dinge ausgeben. Wir sollten die Welt wieder mit Kinderaugen sehen lernen, sie hinterfragen und mit offenem Herzen Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit finden und umsetzen. Wir sollten wieder mehr auf unser Herz hören und weniger auf den Verstand, der unser Leben mit Verboten und Geboten zu einem Spiessrutenlauf werden lässt.  

Ein weiterer Grund ist, dass sie es einfach auch besser wissen. Ich führe sehr viele Gespräche mit meinen Lernenden. Die jungen Erwachsenen haben ein sehr klares Bild unserer Gesellschaft. Sie hinterfragen Ungerechtigkeiten ohne Scheu und Scham. Sie decken auf. Sie bilden ab. Sie kritisieren und reflektieren. Einige intensiver, andere weniger. Aber alle haben gemeinsam, dass sie Fragen stellen. Sie fragen, warum wir uns mit gleichgeschlechtlichen Paaren so schwertun. Sie fragen, was mit ihrer AHV passieren wird. Sie fragen, warum wir den Planeten kaputt machen. Sie fragen, warum wir Tiere abschlachten, um dann nur einen Teil von ihnen zu essen. Sie fragen, warum es korrupte Politiker gibt und CEOs, die das Hundertfache ihrer Mitarbeitenden verdienen. Sie fragen, warum wir unseren Plastikabfall in Länder exportieren, wo er dann im Meer versenkt wird. Sie hinterfragen das System. Jedes System. Sie akzeptieren keine Autoritäten, sondern wollen echte und ehrliche Antworten. Ich finde, sie haben diese verdient.  

Ich erinnere mich an die Bomben, die auf Bagdad gefallen sind. Meine Mutter stand frühmorgens vor dem Fernseher und schaute sich die Bilder auf CNN an. Ich fand das alles tragisch, aber konnte es nicht recht verstehen. Meine Welt drehte sich um mein Zuhause, die Schule und viel weiter nicht. Heute wachsen die Kinder in eine globalisierte Welt hinein. Wir wissen viel mehr voneinander, sind informiert darüber, was in der Welt passiert. Wir sprechen darüber am Familientisch. Die Kinder wachsen mit dem Blick auf die ganze, komplexe Welt auf. Und sie finden sich in dieser Komplexität zurecht. Hoffentlich. 

Das bringt mich zum Punkt, was wir älteren Generationen für die jüngeren leisten können oder sogar müssen. Es liegt auf der Hand: In einer unsicheren, sich so schnell verändernden Welt, muss es Konstanten geben, die uns Orientierung geben. Das sind Werte und Haltungen. Es ist wichtiger als jemals zuvor, dass wir uns klar darüber sind, welche Werte wir vertreten und welche Haltungen wir einnehmen. Wir müssen klar und authentisch sagen können, was uns wichtig ist. Wir müssen Verantwortung übernehmen und den jüngeren Generationen zeigen, was wirkliches Verantwortungsgefühl bedeutet. Wir müssen ehrlich sein.  

Ich kann das nicht fordern, ohne selbst über meine Werte und Haltungen nachzudenken. Das ist gar nicht so einfach. Ich denke, mein Grundwert ist Liebe. Ich versuche jedem Menschen, jedem Lebewesen und jeder Situation mit Liebe zu begegnen. Ich nehme Herausforderungen des Lebens in Liebe an und nehme mich selbst dabei nicht zu wichtig. Lernen und sich selbst weiterzuentwickeln sind für mich die zentralen Aufgaben des Lebens. Ich lebe dabei eine «Trial and error»-Mentalität, d.h. Fehler dürfen passieren, sie sollen sich aber nicht wiederholen. Ich setze mich für Menschlichkeit ein und verstehe darunter die Fähigkeit zur Empathie. Menschlich zu sein heisst, sich in andere hineinversetzen zu können und ihre Position genauso in Liebe anzunehmen wie die eigene. Mir ist bewusst, dass der Mensch nicht perfekt ist. Da er sich in einem stetigen Lernprozess befindet, ist er nie vollendet und damit auch nie perfekt. Perfektion ist nicht anzustreben.  

Was bedeutet das alles für meinen ganz gewöhnlichen Alltag? 
Meine Familie steht an erster Stelle. Meine Kinder in ihrem Lernprozess begleiten zu dürfen und ihnen Menschlichkeit vorzuleben, erfüllt mich mit Stolz. Sie dürfen sich – genauso wie mein Mann und ich als Eltern – ausprobieren und ausleben. Ehrlichkeit ist das wichtigste Gebot unserer Familie. Fehler dürfen, ja sollen sogar, passieren. Deshalb geben wir sie offen zu und sprechen darüber, was wir besser machen können. Wir sprechen offen über unsere Gefühle und versuchen uns aktiv in den anderen hineinzuversetzen. Wir dürfen unsere Gefühle offen zum Ausdruck bringen. Wut hat genauso Platz wie Freude, Liebe, Enttäuschung und Traurigkeit. So lebe ich als Mutter, Ehefrau, Tochter und Lernprozessbegleiterin. Das macht mich aus.  
Welche Werte sind dir wichtig? Was macht deine Menschlichkeit aus? 

Nun freue ich mich an Weihnachten mit meinem Sohn die Digitalwerkstatt-Box von HABA (finanziert über ein Crowdfunding) durchzuspielen und dabei mit ihm gemeinsam eine einfache Programmiersprache zu lernen. 

Ich wünsche dir und deinen Liebsten eine wundervolle Weihnachtszeit und einen guten Rutsch in ein spannendes neues Jahr 2019! Leben wir die Tradition in Zeiten von Innovation und Disruption!  

Heb dier Sorg und bis im neuen Jahr!
Dini Miriam 

Buchtipp: https://frank.io/de/buch/

Zu den Begriffen: 
Innovation vs. disruptive Innovation  
Der Unterschied zwischen einer normalen Innovation, wie sie in allen Branchen vorkommen kann, und einer disruptiven Innovation liegt in der Art und Weise der Veränderung. Während es sich bei einer Innovation um eine Erneuerung handelt, die den Markt nicht grundlegend verändert, sondern lediglich weiterentwickelt, bezeichnet die disruptive Innovation eine komplette Umstrukturierung beziehungsweise Zerschlagung des bestehenden Modells. 

Quelle: https://www.gruenderszene.de/lexikon/begriffe/disruption?interstitial (13.12.18) 

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