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Der Braut - Hochzeitsbräuche im Genderkontext

Liebe Leserin, lieber Leser                                                                                                               Foto: Der Braut, Martin Gut © 2018, Foto by Martin Gut 

 

«Der Braut» ist ein künstlerisches Werk von Martin Gut aus Luzern. Er schneiderte aus einem Brautkleid einen Herrenanzug und stellt dieses Werk in den Genderkontext. Ich frage mich also: Zementieren Hochzeitsbräuche alte Rollenmuster? Seit meine Augen diesbezüglich wachsam geworden sind, begegnen mir plötzlich überall Artikel, die sich dazu äussern. Eine Amerikanerin kritisiert, dass die Braut beim feierlichen Einzug in die Kirche am Arm ihres Vaters vom einen Patriarchen dem nächsten Patriarchen übergeben würde. Dann sehe ich ein Youtube-Video zur Geschichte des Brautkleides, in dem davon gesprochen wird, dass sich mit der Heirat die Rolle der Frau verändere. Und so weiter… Wenn du ähnliche Beiträge gelesen, gesehen oder gehört hast und dich nun fragst, ob eine "weisse Hochzeit" für dich das richtige ist, möchte ich dir gerne ein paar Worte dazu sagen.

 

Als Zeremonienleiterin und Musikerin zelebriere ich den Einzug der Braut. Ich frage das Brautpaar, wie sie sich den Einzug vorstellen und respektiere ihre Wünsche. Es gibt Brautpaare, die sich für einen gemeinsamen Einzug entscheiden, aber es gibt auch viele Bräute, die sich wünschen von ihrem Vater zu ihrem Bräutigam geführt zu werden. Wir wählen die richtige Musik aus (Tempo und Rhythmus sind wichtig!) und üben das langsame Schreiten im Takt. Wenn es so weit ist, hat die Braut ihren grossen Auftritt. Eine starke, selbstbewusste und selbstbestimmte Frau geht den Weg zu ihrem Auserwählten am Arm eines geliebten und für sie wichtigen Menschen. Die Brautmutter unterstützt (klassischerweise) beim Aussuchen des Brautkleides, hilft eventuell beim Anziehen und wünscht ihrer Tochter in den letzten Minuten vor dem grossen Moment alles Glück dieser Welt. Die Braut umarmt ihre Mutter und bedankt sich für alles, was ihre Mutter für sie getan hat, damit sie zu einer selbstbewussten Frau heranwachsen konnte. Dann ist der Papa dran. Weil die Braut ihn liebt. Weil er wichtig ist für sie. Nicht weil der Vater sie an den nächsten Mann weitergibt, der für sie zu sorgen hat. Nein, weil sie schätzt, was ihr Vater alles für sie getan hat, damit sie zu dieser starken, selbstbestimmten Frau werden konnte.

 

Ich durfte schon Väter erleben, die sich an ihrer Tochter festhielten, weil sie beim Einzug nervöser waren als die Braut. Ich habe Väter erlebt, die mich fragten, ob sie denn etwas sagen müssten, wenn sie mit ihrer Tochter beim Bräutigam angelangen, weil sie doch nicht wollten, dass es nach einer «Übergabe» aussehe. Ich habe Väter erlebt, die ein Taschentuch hervorkramten, um eine Träne abzuwischen. Aus Stolz, dass ihre Tochter den richtigen Partner an ihrer Seite gefunden hat, den sie liebt, der sie liebt.

 

Ich habe den Einzug der Braut noch nie als eine «Übergabe» betrachtet. Für mich strahlt die Braut in diesem Moment Stärke und auch Macht aus. Ihr Ehemann wartet auf sie. Wird die Liebste kommen? Es ist ihre Entscheidung, ihre allein, ob sie Ja sagen will zu diesem Mann, der auf sie wartet. Der vor den Gästen steht, sich aufgeregt von einem Bein aufs andere stellt und hofft, seine Auserwählte möge kommen und Ja sagen. Zueinander Ja zu sagen, hat nichts mit Besitz zu tun. Weder der Mann besitzt die Frau, noch die Frau den Mann. Es ist ein Ja für einen gemeinsamen Lebensweg. Ein Ja füreinander da zu sein, ein Team zu sein, Partner eben. Der Einzug symbolisiert den Weg, den das Brautpaar bis zum Zeitpunkt ihres Zusammenkommens ohne einander gegangen ist. Und die Begrüssung symbolisiert das erste Kennenlernen. Der Einzug der Braut ist neben dem Ja-Wort der ergreifendste Moment einer Trauung. Es ist ein Moment von Erinnerung und Emotion. Ein Moment, in dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft begegnen. Der Einzug der Braut ist ein magischer Moment. Dieser Moment verleiht der Frau Stärke und Macht. Sie ist nicht schwach und auf einen Mann angewiesen. Sie hat sich für ihren Mann entschieden, so wie sich ihr Mann für sie entschieden hat. Sie wird für ihn sorgen, so wie er für sie sorgen wird. 

 

Hochzeitsbräuche sind immer das, was wir in sie hineininterpretieren. Nicht mehr und nicht weniger. Wir können Traditionen erhalten, sie aber modern interpretieren. Wir müssen auch Weihnachten nicht abschaffen, weil wir uns von christlichen Traditionen entfernen wollen, wir können Weihnachten neu interpretieren. Menschen sehnen sich nach Ritualen und Bräuchen. Sie sind einfach schön. Nicht mehr, aber ganz sicher nicht weniger. 

 

In diesem Sinne bedanke ich mich bei meinem Ehemann und besten Freund. Wir funktionieren als Team seit über 18 Jahren, weil er mit seiner weiblichen Seite im Reinen ist und ich mit meiner männlichen Seite im Reinen bin. So schraube ich unsere Möbel zusammen und er bekocht mich zum Dank mit einem perfekten Menü!

 

Ich liebe dich, mein Schatz!

 

Heb dier Sorg, Miriam   

                                                                                                                         

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